Mythos 3: Normen bestimmen das Schreiben

Als Kind schrieb ich einmal eine Postkarte an eine Freundin, die im Urlaub war. (Vor den Zeiten von Messengerdiensten und SMS schrieb man sich tatsächlich Postkarten hin und her.) Ich begann mit der Beschreibung meiner Umgebung – es war Sonntag, die Sonne schien, Glocken läuteten und die Bäume am nahen Seeufer rauschten im Wind.

Jemand anderes las die Postkarte und meldete mir zurück: „So kannst du das nicht schreiben“. Ich wunderte mich, denn mir gefiel mein Text . Also schrieb ich ihn nicht um und schickte ihn genau so ab. Die Reaktion: Außer Freude über die Post keine. Weder meine Freundin noch ihre Familie machte höflich Änderungsvorschläge oder beschwerte sich gar. Ich ahnte, dass Stil eine Frage des Geschmacks ist.

Natürlich werden bei uns in Deutschland Textsorten gelehrt, nicht das Schreiben an und für sich. Doch Textsortenmerkmale sind heute vor allem bei Sachtexten wichtig. Wer die Standards nicht kennt, kann den ersten Eindruck verderben, etwa wenn jemand in einer E-Mail eine allzu flapsige Anrede wählt oder ein Protokoll mit Umgangssprache würzt. Im literarischen Schreiben dagegen ist mehr erlaubt.

Also folgen Sie Ihrem persönlichen Stil , Hauptsache, er passt zum Inhalt und zum Anlass Ihres Textes. Machen Sie neue Erfahrungen, egal in welchen Genres Sie schreiben, seien es Briefe, Tagebuch, Kurzgeschichten, Anekdoten oder Gedichte.

Drücken Sie sich aus, denn das ist der Sinn des Schreibens: Festhalten und mitteilen, was für Sie oder den/die Adressat*in wichtig ist, und das in der Sprache, die für Sie stimmt.

(c) Sabine Staub-Kollera